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    Mit KI ganz einfach: Pflege vermeiden, Sturz verhindern, Qualität steigern

    27. Juni 2022 von LinderaAdmin
    6 Fragen an KI-Experte und Head of Clinical Dr. Adjmal Sarwary

    „KI in der Pflege nutzen, um die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die wir im Alltag übersehen“

    Eine präventionsorientierte Gesundheitsversorgung zu Gunsten unserer alternden Gesellschaft ist sein größter Antrieb, neuronale Netze haben dabei eine ganz besondere Faszination auf ihn: Als Head of Clinical arbeitet und forscht Adjmal Sarwary eng mit Mediziner:innen und Pflegefachkräften zusammen, um Medizinapps auf Basis von Künstlicher Intelligenz so effektiv wie möglich zu entwickeln.

    Denn KI kann Fachkräfte entlasten, den fachübergreifenden Austausch erleichtern und den Wandel zu einer Gesundheitsbewussteren Gesellschaft vorantreiben. Sie muss dafür lediglich vernünftig trainiert werden. In seinem Arbeitsalltag trifft Adjmal daher immer wieder auf dieselben Fragen und Missverständnisse.

    Gerade erst haben wir über wesentliche Meilensteine in KI gesprochen – jetzt räumt unser KI-Experte mit den fünf drängendsten Fragen rund um KI im Healthcare Bereich auf:

    Wie verbreitet sind Künstliche Intelligenzen bis dato in der Gesundheitsversorgung?

    Adjmal: KI spielt besonders in der Computer Vision eine große Rolle für die bildgebende Diagnostik. So kann KI beispielsweise in der Radiologie die Auswertung von Röntgenbildern präzisieren und Biopsien aufgrund eines falsch-positiven Verdachts auf ein Minimum reduzieren. Auch in der Krebsfrüherkennung verbessert KI die Diagnosen von Hautmelanomen, Brustkrebszellen oder entlarvt bösartige Tumore im Mast- oder Dickdarm bei einer Darmspiegelung.

    Einen echten Durchbruch haben wir zudem auf dem Gebiet der Bewegungsanalyse gemeistert: Mit Hilfe von KI können wir anhand einer herkömmlichen Smartphonekamera und der Lindera Algorithmus Pipeline 3D-Ganganalysen erstellen und beispielsweise das Sturzrisiko von Senior:innen bestimmen.

    In welchem Healthcare Bereich fehlt KI noch gänzlich?

    Ein Bereich, der mir da spontan einfällt, ist der Einsatz von KI bei Operationen. In den USA sind Remote Assistance Operations bereits zugelassen, in Europa können wir bis jetzt nur mutmaßen, welche Benefits uns derartige Technologien bringen würden.

    In der Ernährungsberatung können KI-basierte Technologien uns dabei helfen, Migräne-Attacken vorherzusagen, Unverträglichkeiten zu bestimmen oder Ess- und Bewegungsgewohnheiten zu verändern. Das kann insbesondere Diabetiker:innen zugutekommen.

    KI kann dabei auch krankheitsbedingte Einschränkungen berücksichtigen und ein individuelles Patientenprofil erstellen. Auch im Sport zeichnet sich ein Trend ab, bei dem sich die Menschen von einem digitalen Coach anleiten lassen, um Übungen richtig umzusetzen, weil sie sich nicht danach fühlen, in Fitnessstudios zu gehen.

    Unsere Technologie ist an dieser Stelle ein Beispiel dafür, wie KI das Live-Coaching übernehmen und Echtzeit-Feedback geben kann. Sie wurde darauf trainiert, falsche Körperhaltungen beispielsweise beim Yoga per Smartphonekamera zu erkennen und zu korrigieren. Das hebt das Home Workout auf ein völlig neues Level und beugt fehlerhaften Ausführungen von Übungen vor.

    Was trifft eher zu: Hegen mehr Menschen unbestimmte Ängste gegenüber KI, oder haben Menschen eher überzogene Erwartungen, wenn es um den Einsatz von KI-basierten Technologien im Gesundheitsbereich geht?

    Beides trifft zu. Das häufigste Missverständnis liegt in der Frage, welches Problem wir mit KI lösen können – und welches nicht. Wie mit jedem neuen Hype versuchen sich viele daran, eine neue Technologie jedem ungelösten Problem überzustülpen.

    Es ist aber allein schon aus ökonomischen Fragen nicht sinnvoll, für alles eine KI verwenden zu wollen. Dass du dich zu wenig bewegst, kann dir auch der Schrittzähler in deinem Smartphone verraten. Auch gibt es Probleme, die eine KI beispielsweise gerade einmal 2 Prozent besser lösen kann als ein Mensch. Es ist von daher immer eine Nutzen-Abwägung.

    Auf der anderen Seite gibt es Probleme, die noch zu komplex für KI sind. Wir müssen uns immer vor Augen halten: Wir selbst müssen die KI anlernen und entsprechend programmieren, damit sie für uns arbeiten kann.

    Liegt das mitunter am Alter? Haben verschiedene Generationen unterschiedliche Bedenken?

    Ja, auch! Wir haben es mit einer Generationenkluft zu tun: Junge Fachkräfte sind sehr affin gegenüber der Digitalisierung, während sich die ältere Generation Sorgen darüber macht, wegrationalisiert zu werden, und entsprechend skeptisch auf Neuerungen reagiert. Beides hat nur bedingt etwas mit der Entwicklung von KI zu tun.

    Wenn es jedoch um die Neueinführung von Technologien und das Sammeln von Daten geht, sind wir in der Übergangsphase darauf angewiesen, doppelt zu dokumentieren, sprich: Analog und digital. Das verursacht doppelte Arbeit – bei gleichbleibender Vergütung.

    Viele Fachkräfte verstehen die Notwendigkeit und den daraus später resultierenden Nutzen für Fachkräfte und Patient:innen nicht. Das behindert unsere Entwicklung extrem.

    Das größte Potenzial für KI in Healthcare in 2022 siehst du…

    … in der Diagnostik. Ich bin ein großer Fan davon, das meiste aus den bestehenden Technologien herauszuholen. Wir nutzen bereits zahlreiche Geräte jeden Tag, die mit Sensoren ausgestattet sind und die uns Informationen liefern können.

    Beispielsweise lassen sich über den Sauerstoffgehalt im Blut und die Bewegung in verschiedenen Kontexten Aussagen über Herzprobleme treffen, von denen wir noch nichts wissen.

    Über die Bewegungserfassung via Kamera lassen sich Beschwerden identifizieren, die mit dem bloßen Auge erstmal nicht auffallen, da sie sich noch in der körperlichen Entwicklungsphase befinden. Sie können später jedoch die Ursache für Muskelfaserrisse sein. Was können außerdem Augen darüber aussagen, ob ich eine Gehirnerschütterung habe? Die Folgen von Gehirnerschütterungen sind extrem – und werden bis heute in der Gesellschaft kleingeredet.

    Kurzum: Wir sollten KI nutzen, um die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die wir im Alltag übersehen und Informationen für Patient:innen konkreter machen, um die Daten schließlich für die weiterführende Versorgung und die verschiedenen Fachkräfte-Level aufzubereiten.

    Wenn du einen Wunsch an die Politik und Kolleg:innen aus der Wissenschaft formulieren könntest, dann…?

    …würde ich mir wünschen, dass sowohl für Fachkräfte als auch Patient:innen klar definiert wird, wie digital mit Patientendaten umgegangen wird. So legen wir der Entwicklung keine Steine in den Weg, sondern haben durch definierte Auflagen eine klare Zugangsbeschränkung, die dennoch Entwicklung zulässt.

    Stand jetzt forschen und entwickeln Universitäten und Unternehmen auf dem Gebiet der KI mit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen. So werden Richtlinien und Infrastrukturen oftmals von Menschen verabschiedet, die keine Ahnung davon haben, wie die Werkzeuge für den Einsatz in der Praxis bereitgestellt werden müssen.

    Gleichzeitig ist klar: Ohne Daten gibt es keine Entwicklung – und der deutsche Markt ist, was die Datenlage angeht, stark fragmentiert, das erschwert unsere KI-Forschung erheblich.